RESOLUTION: “Gleichstellung von alkohol- und cannabiskonsumierenden Führerscheininhabern”

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RESOLUTION

 An die Abgeordneten des Deutschen Bundestages  
An die Abgeordneten der Landesparlamente
An den Bundesverkehrsminister
An den Bundesjustizminister
An die Verkehrsministerkonferenz
An die Justizministerkonferenz

“Gleichstellung von alkohol- und cannabiskonsumierenden Führerscheininhabern”

Die Unterzeichnenden sprechen sich für Änderungen im Verkehrs- und Fahrerlaubnisrecht aus, um eine Gleichbehandlung von alkohol- und cannabiskonsumierenden Führerscheininhabern zu erreichen.
Risikobasierte Grenzwerte und erzieherische Sanktionsspirale bei Alkohol
Bei Alkohol im Straßenverkehr gibt es mehrere Grenzwerte, die sich am tatsächlichen Gefahrenpotential orientieren und die unterschiedlich harte Sanktionen zur Folge haben (Blutalkoholkonzentrationen von 0,3 – 0,5 – 1,1 Promille). Außerdem wird unterschieden, ob ein Fahrer einmalig oder mehrfach mit Alkohol am Steuer auffällt. Die erste Auffälligkeit mit Bußgeld und einmonatigem Fahrverbot ist ein deutlicher Warnschuss und reicht bei vielen Betroffenen aus, um Konsum und Fahren zukünftig zu trennen. Das Ordnungwidrigkeitenrecht hat hier eine erzieherische Funktion. Eine Medizinisch-Psychologische Untersuchung (MPU) wird von den Fahrerlaubnisbehörden erst nach wiederholter Auffälligkeit über 0,5 Promille oder bei einmaligen Verstößen ab 1,1 Promille gefordert.
Null-Toleranz bei Cannabis
Bei Cannabis gilt der analytische Grenzwert von 1 Nanogramm (ng) aktives THC pro Milliliter Blutserum. Dieser Grenzwert hat keine Aussage über eine Rauschwirkung und orientiert sich nicht an einer tatsächlich erhöhten Unfallgefahr. Er wird noch viele Stunden, manchmal sogar mehrere Tage nach Abklingen der Rauschwirkung überschritten. Auf diese Weise wird nüchternen Fahrern eine Rauschfahrt unterstellt, die sie nicht begangen haben. Darin liegt die erste ungerechte Ungleichbehandlung.
Bei 0,49 Promille Alkohol kann die Fahrtüchtigkeit durchaus beeinträchtigt sein. Solange die Beamten keine Beeinträchtigungen bemerken, hat dieser Wert aber keinerlei Folgen bei einer Verkehrskontrolle, während vollkommen nüchterne Fahrer mit 1,0 ng THC pro ml Blutserum bereits Bußgeld und Fahrverbote auferlegt bekommen wie bei über 0,5 Promille Alkohol. Dieser Ungleichbehandlung kann nur mit einem risikobasierten Grenzwert für Cannabis begegnet werden.
Noch drastischer sind allerdings die weiteren Folgen für Cannabiskonsumenten. Während nach einer Alkoholfahrt über 0,5 Promille die Sache nach Bußgeld und befristetem Fahrverbot erst einmal ausgestanden ist, fangen die großen Probleme bei Cannabis erst an. Neben den ordnungswidrigkeitsrechtlichen Sanktionen werden auch die zuständigen Führerscheinstellen informiert, die in der Regel schon nach einem einmaligen Verstoß fehlendes Trennungsvermögen zwischen Konsum und Verkehrsteilnahme unterstellen. Diese entziehen meistens die Fahrerlaubnis sofort und langfristig oder fordern zumindest ein teures Überprüfungsverfahren mit fachärztlichen Gutachten oder MPU an. Die erzieherische Sanktionsspirale bzw. Warnschuss-Intention, die nur auf das Ordnungswidrigkeitenrecht bezogen auch bei Cannabis greifen würde, wird durch einen sofortigen Entzug der Fahrerlaubnis auf der verwaltungsrechtlichen Ebene ausgehebelt.
Der Entzug der Fahrerlaubnis kommt darüber hinaus in der Praxis auch ohne Verkehrsbezug häufig vor, wenn die Führerscheinstelle von einem regelmäßigen Cannabiskonsum des Betroffenen ausgeht. “Regelmäßiger Konsum” wird von den Fahrerlaubnisbehörden oft schon bei wöchentlichem oder monatlichem Konsum unterstellt, während es in der Praxis keinerlei Problem darstellt, wenn ein Autofahrer jeden Abend ein Feierabendbier trinkt.
Wenn jemand dagegen mit geringen Mengen Cannabis zum Eigenbedarf erwischt wird, erfolgt eine Meldung an die Führerscheinstelle. Mehrere solche Meldungen können schon für das Einleiten teurer Überprüfungsmaßnahmen ausreichen. Hierin liegt die dritte wesentliche Ungleichbehandlung zwischen Alkohol und Cannabis im Straßenverkehr.
Unterschiedliche Behandlung orientiert sich nicht am Unfallrisiko
Diese drastische Ungleichbehandlung von Alkohol und Cannabis lässt sich nicht mit der potentiellen Erhöhung des Unfallrisikos im Vergleich zum nüchternen Fahren begründen. Während sich das Unfallrisiko bei 0,5 oder mehr Promille Alkohol um das 2- bis 200-fache erhöht, erhöht es sich für akut durch THC beeinträchtigte Fahrer (Konsum innerhalb der letzten drei Stunden) im Mittel nur um das 2-fache, wie aktuelle Studien zeigen. Selbstverständlich ist auch diese Verdopplung des Unfallrisikos nicht zu tolerieren, sondern zu sanktionieren. Für eine wesentlich härtere Bestrafung für Cannabis am Steuer gibt es aber keine wissenschaftliche Begründung.
Anders als bei Alkohol ist es hingegen bei THC aus verschiedenen Gründen schwierig, einen wissenschaftlich fundierten, eindeutigen Blutkonzentrations-Grenzwert für den Straßenverkehr zu definieren. Um dennoch nüchterne Fahrer von verkehrsrelevant beeinträchtigten klar unterscheiden zu können und die Wahrscheinlichkeit falsch-positiver und falsch-negativer Testergebnisse auszubalancieren, empfehlen verschiedene Studien Grenzwerte zwischen 3 und 10 ng THC/ml Blutserum. In diesem Bereich wurden international bereits unterschiedliche Grenzwerte umgesetzt, zum Beispiel 3* ng in der Schweiz für Taxi- und Busfahrer, 4* ng in Tschechien und  Großbritannien, 6* ng in den Niederlanden sowie 10* ng in Colorado und Kanada.
*aus Vollblutwerten mit dem konservativen Faktor 2,0 umgerechnet, laut Giroud et al. 2001 kann er zwischen 1,5 und 2,8 schwanken.
Sicherheit wird eher gefährdet als erhöht
Die klaren, nachvollziehbaren und einhaltbaren Regeln für Alkohol im Straßenverkehr haben einen erzieherischen Effekt und erhöhen die Verkehrssicherheit. Alkoholkonsumenten können sich ohne Probleme an diese Regeln halten, indem sie sich erst nach Abklingen der Alkoholwirkung ans Steuer setzen. Dies ist bei Cannabiskonsumenten nicht der Fall. THC baut sich im Körper nicht linear ab. Die Werte sinken nach dem Konsum zunächst sehr schnell, am Ende aber sehr langsam. Dadurch haben Cannabiskonsumenten oftmals noch lange nach Abklingen der Wirkung einen Wert von 1 ng THC im Blutserum. Um einen Entzug der Fahrerlaubnis zu vermeiden, weichen daher Fahrer auch zunehmend auf nicht-nachweisbare synthetische Cannabinoide aus. Die sichergestellten Mengen dieser “THC-Substitutionsstoffe” steigen jährlich. Für viele Cannabiskonsumenten spielt es rechtlich gesehen keine große Rolle, ob sie nüchtern fahren oder nicht, da sie die Fahrerlaubnis auch durch Kontrollen verlieren können, bei denen ihnen lange nach dem Abklingen der THC-Wirkung noch eine Drogenfahrt unterstellt wird.
Unverhältnismäßig drastische Auswirkungen des Führerscheinentzugs
Alkoholkonsumenten bekommen bei Fahrten über 0,5 Promille immer eine zweite und dritte Chance, sofern sie keine Ausfallerscheinungen haben und nicht in einen Unfall verwickelt sind. Sie dürfen ihren Führerschein behalten, müssen aber beim nächsten Verstoß mit härteren Sanktionen rechnen. Eine solche Sanktionsspirale gibt es in der Praxis bei Cannabis nicht. Bei erstauffälligen Cannabiskonsumenten wird die Fahrerlaubnis in der Regel sofort und langfristig entzogen. Das führt für viele Betroffene zum Jobverlust und kann gerade im ländlichen Raum auch einen Rückgang sozialer Kontakte und das Auseinanderbrechen von Lebensgemeinschaften bedeuten. Das Wiedererlangen der eingezogenen Fahrerlaubnis ist zeitintensiv und mit hohen Kosten verbunden. Die Ungleichbehandlung zwischen Alkohol und Cannabis besteht nicht nur auf dem Papier, sondern sie bedeutet für zehntausende Betroffene eine massive Beeinträchtigung des Lebens, ob sie nun einmalig unter Cannabiseinfluss auffällig wurden, nüchtern unterwegs waren oder nicht einmal ein Fahrzeug geführt haben.
Der reine Konsum von Cannabis ist strafrechtlich nicht verboten, der Besitz geringer Mengen wird seit dem entsprechenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1994 oft nicht weiter verfolgt. Die aktuelle Rechtslage im Verkehrsrecht erweckt aber den Eindruck, dass ein totales Verbot des Cannabiskonsums über das Verkehrsrecht durchgesetzt werden soll – durch eine Regelung, die  wissenschaftlich nicht fundiert ist und  welche die Verkehrssicherheit nicht erhöht.
Änderungsbedarf
Um eine Gleichbehandlung von Cannabis und Alkohol im Straßenverkehr und damit mehr Gerechtigkeit, Verhältnismäßigkeit und Sicherheit zu erreichen, halten die Unterzeichnenden folgende Änderungen für notwendig:
  1. Wir fordern die Förderung von Forschung, Entwicklung und Erprobung sowie die anschließende Einführung von Messverfahren, welche nur eine akute, verkehrsrelevante Beeinträchtigung durch Cannabiskonsum eindeutig tatsächlich nachweisen. Laut verschiedener Studien sind THC-Konzentrations-Bestimmungen im Blut nicht gut geeignet, um die tatsächliche Beeinträchtigung zu messen.
  2. Bis neue Testverfahren angewendet werden können, welche eine tatsächliche Rauschfahrt zuverlässig und rechtssicher nachweisen, fordern wir eine wissenschaftlich fundierte Anpassung des THC-Grenzwertes und dessen Normierung in §24a StVG. Analog zur Regelung bei Alkohol fordern wir einen versicherungsrelevanten Grenzwert von 3,0 ng THC/ml Blutserum, unterhalb dem eine verkehrsgefährdende Beeinflussung durch THC ausgeschlossen wird, vergleichbar mit der Regelung bei 0,3 Promille Alkohol, sowie einen Toleranzgrenzwert von bis zu 10 ng, bei dem analog zur 0,5-Promille-Grenze bei Alkohol vorgegangen wird.
  3. Das Abbauprodukt von THC, THC-COOH, hat keinerlei Auswirkung auf die Fahrtüchtigkeit und sollte daher auch nicht zur Bestimmung von Fahrtüchtigkeit und Fahrtauglichkeit herangezogen werden.
  4. Angleichung der ordnungswidrigkeitsrechtlichen und verwaltungsrechtlichen Maßnahmen bei Alkohol und Cannabis. Bei echten Verstößen oberhalb des neu zu bestimmenden Grenzwertes sollte kein langfristiger Entzug der Fahrerlaubnis wegen “mangelnden Trennungsvermögens” nach einer einmaligen Auffälligkeit angeordnet werden, sondern Bußgeld und zeitlich begrenztes Fahrverbot. Eine MPU sollte nur bei wiederholten oder besonders schweren Verstößen angeordnet werden.
  5. Kein Entzug der Fahrerlaubnis ohne Bezug zum Straßenverkehr und keine Meldung von Strafverfahren wegen geringer Mengen Cannabis ohne Verkehrsbezug an die Führerscheinstellen.
Für Gerechtigkeit, Verhältnismäßigkeit und Sicherheit im Straßenverkehr:
Deutscher Hanfverband
LEAP Deutschland
Schildower Kreis
Akzept e.V.
Grüne Hilfe e.V.
Cannabis Colonia e.V.
Rechtsanwalt Sebastian Glathe
Institut zur Förderung qualitativer Drogenforschung, akzeptierender Drogenarbeit und rationaler Drogenpolitik (INDRO) e.V.
Hanfinitiave Frankfurt
Hanf e.V. (Hanfmuseum)
Jakis e.V. (Hanfparade)
JES NRW e.V.
Substanz AG
FINDER Institut für Präventionsforschung
Nachtschattenverlag
CSC Berlin
Rechtsanwalt Patrick Welke
Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen e.V.
 
„Freie Träger der Berliner Suchthilfe“:
ADV gGmbH
ADV Rehabilitation und Integration gGmbh
Haus Lenne gGmbh
Drogentherapiezentrum Berlin e.V
Fixpunkt e.V
FrauSuchtZukunft e.V
Mann-o–Meter e.V.
Notdienst Berlin e.V.
Vista gGmbH
Therapieladen e.V.
Schwulenberatung Berlin gGmbH
ZiK gGmb
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